Der Beitrag zum Sonntag - aus der Presse (Cloud am Boden)
Ein Start im heurigen Jahr war angedacht, geht sich aber nicht ganz aus. Noch ein bis anderthalb Jahre wird es dauern, bis die drei neuen Rechenzentren des US-Riesen Microsoft rund um Wien in Betrieb gehen. Etwa eine Milliarde Euro teuer ist das Projekt, das laut Microsoft-Österreich-Chef Hermann Erlach aus mehreren Gründen in Österreich realisiert werde: Es gebe etwa viel grüne Energie, eine sichere Stromversorgung, politische Stabilität, kaum Erdbeben.
Doch Rechenzentren sprießen längst nicht nur in Österreich aus dem Boden. Per Dezember 2023 gab es weltweit rund 11.000 davon. Tendenz stark steigend. Denn die Nachfrage nach Rechenleistung wächst und wächst. Und wächst. „Die Herausforderung besteht darin, schnell genug genügend Rechenzentrumskapazitäten aufzubauen, um mit der wachsenden Nachfrage Schritt zu halten“, gibt Ben Maynard im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“ zu bedenken. Der Brite spricht für den europäischen Verband der Cloud-Service-Anbieter CISPE. Also einer Branche, deren Wachstum davon abhängt, dass auch die für Cloud-Services verfügbare Rechenleistung wächst.
Cloud steht für Wolke. Eine Wolke in Bodennähe heißt in Alltagssprache Nebel. In der Fachsprache meint Cloud freilich ein Netzwerk an räumlich entfernten Servern, auf welche über eine gesicherte Internetverbindung von jedem beliebigen Ort und jederzeit zugegriffen werden kann. Nebulös ist die Cloud also keineswegs, vielmehr ist sie ein dichtes Geflecht aus Glasfaserkabeln, die kleine bis riesige Rechenzentren miteinander verbinden. Doch nebulös ist vielen, wie die Cloud-Wirtschaft eigentlich funktioniert. Denn es sind längst nicht nur Riesen wie Microsoft, die Datenzentren bauen und betreiben. Auch zahlreiche kleinere Akteure tummeln sich am Markt. Und unbekannte Riesen.
Österreichische Wolke. Alexander Windbichler ist noch keine 40 Jahre alt. Aber Unternehmer ist der Kärntner seit bald 20 Jahren. Heute beschäftigt seine Firma Anexia weltweit rund 400 Personen. Die Produktpalette ist reich, vereinfacht gesagt bietet Windbichlers Firma Cloud-Dienstleistungen an. Wenn Unternehmen ihre Daten von Unternehmen wie Anexia managen lassen, sparen sie sich nicht nur ein eigenes Rechenzentrum, das personelle und finanzielle Ressourcen bindet – und obendrein Raum einnimmt. In der Cloud lassen sich auch Programme anwenden, die dann nicht eigens lokal im Unternehmen installiert werden müssen.
Nicht alle Cloud-Dienstleister betreiben auch eigene Rechenzentren. Anexia schon. Aber es nutzt auch fremde. „Wir betreiben in Österreich eigene Rechenzentren, mieten uns aber auch bei sogenannten Colocation-Operators ein“, sagt Windbichler im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Die aktuell rund 70 Datenzentren in Österreich werden von unterschiedlichen Unternehmen betrieben. Da sind neben Tech-Giganten wie Microsoft und viel kleineren Unternehmen wie Anexia, auch Unternehmen, die keine Cloud-Dienstleistungen anbieten – sondern nur Rechenleistung. Überhaupt, so hört man, gelten solche reinen Datenzentrenbetreiber unter Investoren aktuell als spannende Investments.
Lukrative Immobilien. „Die Cloud braucht ein Zuhause in der materiellen Welt“, weiß Martin Madlo: „Rechenzentren sind dieses Zuhause.“ Madlo ist Geschäftsführer von Digital Realty Österreich und damit der heimischen Tochter des weltweit größten Colocation-Operators. Auch Anexia ist bei dem US-Konzern, der an der Börse rund 48 Milliarden Dollar wert ist, eingemietet. Digital Realty kann man sich wie ein „Hotel für Computer“ vorstellen, so Madlo im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Oder eher: „Wie ein Kongresshotel.“ Denn Unternehmen wie Digital Realty oder dessen japanischer Konkurrent NTT stellen nicht nur die sprichwörtlichen Zimmer zur Verfügung – also Rechenleistung, die Kunden mieten können. Sondern sie sind auch Marktplatz für Daten, die Unternehmen mit unterschiedlichsten Kompetenzen unter einem Dach beherbergen.
Der Bedarf an solchen Zentren wachse enorm, weiß Madlo. Auch die Anforderungen an Datenzentren würden sich mit dem Boom um künstliche Intelligenz ändern. Digital Realty etwa betreibt mit Interxion in Wien schon jetzt das größte heimische Datenzentrum. Bald beginnt der Bau eines zweiten solchen Zentrums, ebenfalls in Wien.
Großer Bedarf, schlechter Ruf. Auch wenn der Bedarf an Rechenzentren rapide zunimmt, einen guten Ruf haben sie nicht. Sie nehmen viel Raum ein, fressen viel Energie und beschäftigen vergleichsweise wenige Menschen. Dabei seien Datenzentren nicht nur für Technologien wie künstliche Intelligenz essenziell, so Maynard: „Sie ermöglichen beispielsweise grüne Dienstleistungen, sie schaffen neue Geschäftsmöglichkeiten und damit auch Jobs.“
Dass Rechenzentren Unmengen an Energie brauchen, stellt in der Branche freilich niemand in Abrede. Vor allem das Kühlen der Cloud-Infrastruktur ist energieintensiv. Mit der KI-Revolution wird der Bedarf an Strom und Kühlung bereits in den nächsten Monaten noch einmal massiv anwachsen. Daher stehen neue Data-Center zunehmend dort, wo die Temperaturen niedrig sind und es erneuerbare Energien in rauen Mengen gibt, könnte man meinen. Doch es sei „ein Mythos, dass Rechenzentren immer da gebaut werden, wo es kalt ist“, sagt Peer Welling. Der gebürtige Deutsche ist Partner bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Rödl & Partner und unterstützt Unternehmen bei der Suche nach dem idealen Standort für ihre Rechenzentren. Natürlich würden sich alle Betreiber heute Solaranlagen auf das Dach schrauben und gerne auch an kühleren Orten bauen, aber unterm Strich sei all das nebensächlich und die Kosten in der Wachstumsbranche nicht der treibende Faktor.
Viel entscheidender als Energiebedarf und -herkunft ist die Frage, wie rasch und stabil die Cloud läuft und wie viele Sicherheitsnetze es gibt, sollte doch ein System ausfallen. Das gilt für die Stromversorgung ebenso wie für die Speicherung und Übertragung der Daten selbst. „Hohe Latenzzeiten können fatal sein“, sagt Welling. Latenz beschreibt den Zeitraum, den ein Datenpaket vom Anwender zum Webserver und wieder zurück benötigt. Je höher die Latenzzeit, desto häufiger ruckelt etwa bei Live-Sportübertragungen im Internet das Bild. Aber was bei EM-Spielen vielleicht nervt, kann für manche Unternehmen existenzbedrohend werden. Der Berater berichtet etwa von einem mittelständischen Logistiker, der seine komplette Lagerhaltung automatisiert hatte, um Zeit und Kosten zu sparen, stattdessen aber nicht nur sprichwörtlich vor einem Scherbenhaufen saß. „Aufgrund der hohen Latenzzeit kam es ständig zu Kollisionen.“
Nähe zum Kunden. Daher suchen die meisten Betreiber von Data-Centern die Nähe der Kunden – und von großen Internetknotenpunkten, wo die tausenden Netze, die das Internet formen, ihre Daten austauschen. Der größte derartige Knotenpunkt in der nördlichen Hemisphäre ist die Deutsche Commercial Internet Exchange (DE-CIX) in Frankfurt. Im Jahr 2023 wurden hier knapp 40 Exabyte an Daten exportiert. Dreimal mehr als fünf Jahre vorher. Mitte April 2024 flossen hier während der Viertelfinalrückspiele der UEFA Champions League erstmals über 17 Terabit pro Sekunde. Und weil mit diesen Zahlen niemand etwas anfangen kann: Das entspricht etwa 5,7 Millionen HD-Videos, die zeitgleich abgespielt werden.
Die Nähe zu großen Internetknoten verspricht nicht nur die notwendige Geschwindigkeit, sondern auch ein Mehr an Sicherheit. „Je mehr Rechenzentren an einem Ort sind, desto einfacher ist es auch, Redundanzen zu schaffen“, so Welling. Redundanzen sind überflüssige Infrastruktur, die im Notfall genutzt werden kann. Sie minimieren Ausfallzeiten und schaffen Sicherheit. Sicherheitsgründe sind es übrigens auch, warum manche Anbieter den Standort ihrer Rechenzentren am liebsten geheim halten. „Wenn ich nicht weiß, wo es ist, kann ich es auch nicht angreifen.“
Datensouveränität. Auch wenn Daten in Glasfaserkabeln beinahe mit Lichtgeschwindigkeit übertragen werden, ist es laut Windbichler nicht egal, wo Daten liegen. „Wie wichtig Datensouveränität ist, wird von vielen unterschätzt“, sagt der Kärntner. Denn liegen Daten etwa auf Servern, die zwar innerhalb der Europäischen Union liegen, aber US-Konzernen gehören, sei man in Europa letztlich erpressbar. Sollte ein US-Präsident etwa auf die Idee kommen, Sanktionen gegen Europa zu verhängen, könnte die Cloud binnen kürzester Zeit offline gehen, wenn sie auf Servern von US-Firmen basiert. Und dann sind die Daten weg. „Man kann ein Rechenzentrum nicht einfach enteignen wie einen Gazprom-Speicher“, gibt Windbichler zu bedenken. Er will keinesfalls davon abraten, Daten auf US-Servern zu lagern. Es müsse aber die Möglichkeit geben, Rechenzentren europäischer Firmen in Europa zu nutzen.
Die US-Dominanz bei digitaler Infrastruktur lässt sich auch an Zahlen festmachen. So beheimaten die USA mit rund 5380 Rechenzentren mehr als zehnmal so viele wie das größte EU-Land Deutschland. Auch die US-Dominanz gegenüber dem Systemrivalen China ist übrigens eklatant, das Reich der Mitte kommt per März 2024 auf 449 Rechenzentren.